Das Mädchen M. und der Junge N. sind über sich hinausgewachsen – Erfolgsgeschichten aus der Theaterpädagogik

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„Das Mädchen M. und der Junge N. sind über sich hinausgewachsen.“

Erfolgsgeschichten aus der Theaterpädagogik

Das Mädchen M. ist im ersten Schuljahr ein stilles, freundliches Mädchen, das kaum etwas aktiv beiträgt. Man ist sich nicht sicher, ob ihre Deutschkenntnisse ausreichend sind, um alles zu verstehen, was in der Klasse getan wird. Sie macht mit, wenn sie Bewegungen nachmachen kann, entweder von der Lehrerin oder von forscheren Kindern. Sie fragt nichts. Wenn sie auf Nachfrage etwas sagt, ist es leise und unsicher. Arbeitet sie mit anderen Kindern in einer Gruppe, die sich schnell ablenken, ist auch sie abgelenkt. Geben andere Kinder Ideen vor, die zur Aufgabe passen, macht sie gern mit. Im ersten Jahr spricht sie auf der Bühne gemeinsam mit zwei anderen Kindern drei Sätze und ist kaum heraushörbar. Sie ist aber sichtlich erleichtert und erfreut, als sie nach der Aufführung für ihre Beteiligung gelobt wird.

Auch im zweiten Jahr ist sie eher unsichtbar, macht aber immer mit, wenn sie Ideen von anderen aufnehmen kann. Im dritten Jahr arbeitet sie für die Aufführung in einer Gruppe mit drei anderen Mädchen, die die Theaterarbeit sehr ernst nehmen, sich nicht scheuen, ihre Ideen zu äußern und die ganz offensichtlich viel Freude am Spiel haben. Sobald sie ihren Teil an der Gruppenarbeit – die Mädchen spielen eine Gruppe von Pinguinen – überschauen kann, spricht sie zum ersten Mal auf der Bühne laut und verständlich. Sie bringt Ideen ein, wie die Pinguine sich verhalten könnten und macht darauf aufmerksam, auf welche Punkte die Pinguin-Gruppe bei ihrer Präsentation achten sollte. Mit diesem Verhalten verblüfft und erfreut sie alle. Sie zeigt, dass sie in den Jahren vorher innerlich Anteil am Probenprozess genommen hat und dass sie verstanden hat, worum es auf der Bühne geht. Im vierten Jahr übernimmt sie mit einem anderen Mädchen die Rolle einer Pathologin und ist sehr sorgfältig in ihrem detailreichen Spiel.

Der Junge N. hat im ersten Jahr große Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren und bei einer Sache zu bleiben. Gern verwickelt er sich in Streitereien mit anderen Jungen oder er lenkt die anderen Jungen ab. Es fällt ihm schwer, sich einen Ablauf zu merken. Er ist zwar in den Pausen laut, wenn er auf der Bühne etwas sagen soll, aber sehr leise und unverständlich. Am liebsten ist er in Bewegung. Den Märchen hört er allerdings immer gern zu und reagiert spontan emotional auf die Geschichten.

Im ersten Jahr ist seine Herausforderung, als Fisch mit anderen Fischen zur rechten Zeit über die Bühne im Rhythmus der dabei laufenden Musik zu schwimmen und gemeinsam mit drei anderen Jungen am Ende der Fisch-Bewegungsszene einen Satz zu sagen. Schon allein an der richtigen Bühnenseite zu stehen und sein Kostümteil an zu haben, ist für ihn schwer.

Im zweiten Schuljahr kämpft er mit ähnlichen Schwierigkeiten, aber wieder meistert er seine Tierrolle im Gemeinschaftsverband und sogar mit einiger Begeisterung. Es liegt ihm sehr, eines der (in diesem Fall mehr als) sieben Geißlein zu spielen und ab und zu macht er seine Mitspieler darauf aufmerksam, wenn sie etwas anders machen als zuvor.

Im dritten Schuljahr kann er mit seinem Bewegungsdrang überzeugend einen bedrohlichen Tiger darstellen. Auch nimmt er mehr Anteil an dem Gelingen der Gesamtdarstellung. Obwohl er sich immer noch wiederholt versichern muss, dass er zur rechten Zeit die Bühne betritt, kann er in der Rückmeldung zu von anderen gespielten Szenen Hinweise geben, was sie noch ausprobieren könnten, um ihr Spiel noch spannender oder klarer zu machen.

Im vierten Schuljahr ist er als Gangster in einer Diebesbande begeistert dabei. Zwar hält seine Aufmerksamkeitsspanne noch immer nicht so lang wie bei manch anderem Kind und die Reibereien, in die er sich verwickelt, halten oft den Probenprozess auf, aber man merkt an seinen Rückmeldungen, dass ihm daran liegt, dass gemeinsam ein spannendes Stück auf die Bühne gebracht wird und er versteht es, wie es im Theater sein kann, dass ausschließlich helle Holzstühle als Bühnenbild dienen, dass diese Stühle Gangsterquartier, Kanalisation und Museum sein können, je nachdem, wie wir sie bespielen.